Dass ich eine Perfektionistin bin, weiss ich eigentlich schon lange. Dass das sogar ein Problem sein könnte, dämmerte mir erst nach meiner Visionssuche. Doch wie ungesund der Perfektionismus für mich wirklich ist, scheine ich erst jetzt allmählich zu begreifen.
Ein ständiger Begleiter
Kürzlich habe ich das Thema bei meiner Therapeutin aufgebracht (Ja, ich gehe in die Maltherapie! Schon eine ganze Weile. Und ich finde es grossartig. Dafür muss man nicht „krank“ sein. Meiner Meinung nach täte jedem eine Therapie gut!). Sie hat mir dann bestätigt, dass Perfektionismus der rote Faden in unseren Sitzungen ist, wir es einfach nie so benannt haben, bei mir jedoch alles damit zu tun hat. Mir ging ein Lichtlein auf! Ja, so ist es wirklich. Das Ausmass ist enorm. Der innere Kritiker mit dem Anspruch auf das „Perfekt-Sein-Müssen“ ermahnt mich jeden Tag, den ganzen Tag. Ständig. Mir war lange nicht bewusst, dass das nicht „normal“ ist. Ich dachte, es geht allen so. Und obwohl der Leistungsdruck in der heutigen Zeit bestimmt für alle ein Thema ist, gehört der Perfektionismus für mich zum „Hauptsymptom“.
Das Schild gegen Verletzlichkeit
Symptom darum, weil Perfektionismus aus einem Mangel geboren wird und somit ein Symptom und nicht die Ursache darstellt. Perfektionismus schützt davor, angreifbar zu sein. Als Kind habe ich mir die Perfektionistin antrainiert, um mich vor Scham, Schuld und Verletzlichkeit zu schützen. Ich habe mir wohl eingeredet, wenn ich es nur perfekt genug mache, ja, dann bin ich genug, dann werde ich anerkannt, gesehen, geliebt. Dann werde ich nicht getadelt, nicht abgelehnt. Jedes Kind findet seine Strategie, Muster und Glaubenssätze und ich griff halt nach dem Perfektionismus. Brené Brown nennt ihn das 20-Tonnen-Schild (ihren TED-Talk zur Macht der Verletzlichkeit und ihre Bücher sind sehr zu empfehlen!) und schneidet und uns Wahrheit von wahrer Verbindung mit anderen Menschen ab und davor, wahrhaftig gesehen zu werden.
Kleinen Schritte
Ein derart in Fleisch und Blut übergegangenes Muster lässt sich nicht von heute auf morgen abstreifen. Und es wird sich auch nicht vollends abstreifen lassen (ein Perfektionist wird wohl kaum je ein „Schlufi“ werden können). Doch das ist in Ordnung, denn dem Perfektionismus habe ich wohl auch einen Teil meiner kreativen Fertigkeiten zu verdanken (z.B. genaue Portraits malen zu können!). Ausserdem mache ich gerne schöne und gute Sachen, das darf auch so bleiben. Doch aufhören muss es dort, wo es mir zur Belastung und zum Leid wird. Wo ich mir selbst nicht reiche, wo ich mir einrede, zu faul, zu dumm, zu wenig gut oder zu untalentiert zu sein, wo ich mir kaum erlaube, Pausen einzulegen, wo ich mich oft noch lange fertig mache, weil ich meinen hohen Ansprüchen nicht genüge.
Kommt dir das bekannt vor? Falls ja, kann ich dir die Talks und Bücher von Brené Brown sehr empfehlen (am besten mal auf YouTube eingeben und googeln!). Sehr geholfen hat mir auch das Buch „Das Brave-Tochter-Syndrom„. Ich möchte jeden ermutigen, der sich mit einem harten inneren Kritiker herumschlägt. Das muss nicht so bleiben!